Die Ausstellung von Zohar Fraiman in der Städtischen Galerie in Viersen umfasst etwa 25 Gemälde aus den letzten vier Jahren, zwei partizipative Installationen und eine kleine frühere Zeichnung. Die Künstlerin, die seit 2009 in Berlin lebt, enthüllt die grausame Realität der sozialen Netzwerke, ihren Einfluss auf den Alltag junger Frauen und die Art und Weise, wie sie Idole der Popkultur zu zeitgenössischen Ikonen machen. Die Besucher erkennen zeitgenössische Sängerinnen, Gestalten aus der Geschichte der Malerei oder Figuren aus Zeichentrickfilmen. Sie können sogar selbst an der Herstellung der Werke teilnehmen, indem sie Selfies mit bemalten Masken und Spiegeln machen (Meme Me, 2024) oder ihren Kopf durch Löcher in einem Gemälde stecken (Face Off, 2024). So werden sie Teil der Kunstwerke in einem Spiel, das an Coney Island oder Themenparks erinnert und so darauf hinweist, dass wir in sozialen Netzwerken alle mehr oder weniger Täter und Opfer zugleich sind.
In den Werken von Zohar Fraiman ist es leicht, Bezüge zur zeitgenössischen Populärkultur und zu neuen digitalen Nutzungsformen zu erkennen. Hier eine amerikanische Sängerin, dort eine Hollywood- Schauspielerin, irgendwo eine Zeichentrickfigur und überall, überall, überall Smartphones mit mehreren Kameras und leuchtenden Bildschirmen. Wir leben in einer stark digitalisierten Welt, in der der Kontakt zu unseren Freunden über kurze Mitteilungen in Form von SMS- Nachrichten, Emojis oder Fotos läuft (von dem, was wir essen, oder von uns selbst). Und einige dieser Gespräche finden sogar statt, ohne dass wir die Personen überhaupt im wirklichen Leben je getroffen haben. Eine digitale Schizophrenie, an die wir uns gewöhnt haben, die aber in manchen Fällen verheerende Folgen hat – zum Beispiel wenn Teenager die hämischen oder wütenden Kommentare unter den von ihnen geteilten Bildern lesen. Das Internet und die sozialen Netzwerke sind ein Zerrspiegel, in den wir gerne blicken, solange er uns – wie in der Geschichte von Schneewittchen – das idealisierte Spiegelbild zurückgibt, das wir uns wünschen.
Zohar Fraimans Gemälde sind voll von direkten Verweisen auf diese Parallelwelt aus knallsüßem Essen und überteuerten Modeartikeln. Man verzehrt dort appetitliche Sahnetorten (Nom Nom, 2023, Tonz of Buns, 2023 oder Sweetest Taboo, 2023), kauft Luxusgüter (Shop Till you Drop, 2024) und teilt Früchte, deren Emoji zum Versenden von Sexbotschaften verwendet werden (Bootylicious, 2024). Die meisten jungen Frauen, die man auf den Gemälden beobachten kann, sehen nicht besonders
glücklich aus, ihr Lächeln ist im Moment des Fotografierens eingefroren, sie werden von ihren Freundinnen ausspioniert und diese zögern auch nicht, ihr Aussehen zu kommentieren (xoxo, 2014).
1990 stellte Cindy Sherman ihre Serie der History Portraits der Öffentlichkeit vor. Die Fotografin, die mit Kostümen, Make-up und der Schaffung von Charakteren mehr als vertraut ist, spielt mit der Kunstgeschichte. Sie eignet sich Ikonen der Malerei an und interpretiert sie in ihrem typischen Spiel aus Verstellung, Maskerade und Make-up. In einem anderen Zusammenhang erkannte Andy Warhol schnell, dass die Stars, die er auf gesellschaftlichen Veranstaltungen traf – von Jackie Kennedy über Liza Minelli bis hin zu Blondie – die neuen Ikonen der Gesellschaft waren. Oftmals waren sie auch die Mäzene seiner Werke. In Zohar Fraimans Bildern finden sich Taylor Swift, Rihanna, Zendaya, Kim Kardashian und wahrscheinlich noch weitere Mitglieder ihres Clans, die ich nicht identifizieren kann. Aber sie verbindet diese übermediatisierten zeitgenössischen Frauenfiguren mit denen der Kunstgeschichte: Botticellis Venus, Modiglianis Frau mit Hut oder Giottos Kuss. All diese Frauen haben eine ewige Jugend – sei es auf Gemälden aus dem 15. Jahrhundert und ihren zeitlosen Schönheiten genauso wie Kim Kardashian, die auf ihrem Instagram-Account nichts von ihren 45 Jahren preisgibt. Eine anhaltende Unbeschwertheit, die durch soziale Netzwerke gefördert und eingefordert wird. Die Fotografien sind dort gefiltert, die Haut geglättet und die Gesichtszüge perfekt ausgeleuchtet. Betrachtet man jedoch die von Zohar Fraiman gemalten Porträts, sieht man sofort, dass die Gesichter dort Kombinationen aus verschiedenen Quellen sind: Filmstars, Zeichentrickfiguren und Gestalten aus der Kunstgeschichte. Dabei enthüllt die Künstlerin die Schizophrenie, die mit der Präsenz in sozialen Netzwerken einhergeht. Eine virtuelle Existenz, die aus Lügen, trügerischem Schein und schmeichlerischer Inszenierung besteht. Letztendlich geht von ihren Werken eine gewisse Melancholie aus – und hinter einem perfekt mit blutrotem Lipgloss bedeckten Lächeln verbirgt sich eine etwas traurige junge Frau, die davon träumt, Disney-Prinzessin zu werden.
Verantwortlich für all diese zeitgenössischen Abenteuer sind sicherlich die Smartphones – Objekte, die 2007 mit der Vorstellung des ersten iPhones durch Steve Jobs auf den Markt kamen und weniger als zwei Jahrzehnte später aus unserem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken sind. Ohne sie wäre es unmöglich, ein U-Bahn-Ticket in Oslo zu kaufen, die Bezahlung eines Flugs nach Tahiti zu bestätigen oder einfach nur zu wissen, wo man sich befindet und in welche Richtung man laufen muss. Ihr intensiver Gebrauch lässt sie auf Zohar Fraimans Bildern schmelzen. Unter dem Einfluss der Hitze, die sie bei übermäßiger Beanspruchung abgeben, aber wahrscheinlich auch in
Verbindung mit den Uhren, die in Salvador Dalís Gemälden zerfließen. Der genaue Titel des berühmtesten seiner Gemälde lautet Persistance de la mémoire (1931) und man sieht darin drei Uhren, die „wie Camembert“ (so Dalí) dahinschmelzen. Jedes Element in diesem Werk hat mit Symbolen und Symbolik zu tun – in der großen Tradition der surrealistischen Werke. Auch hier bezieht sich Zohar Fraiman, indem sie Smartphones zum Fließen bringt, auf Kunstgeschichte. Doch während Dalís Uhren weich sind, weil sie die verrinnende Zeit und unsere Unfähigkeit, sie zu beeinflussen, symbolisieren – schmelzen Zohar Fraimans Smartphones vor lauter Gebrauch. Ähnlich wie Uhren sind sie Werkzeuge, die dazu dienen, die Zeit zu markieren, ein Gedächtnis zu bewahren und Erinnerungen zu schaffen. Doch diese Erinnerungen und das Gedächtnis bestehen, sobald sie durch den Filter der sozialen Netzwerke laufen, aus Lügen und Verfälschungen der Realität.